Der Marktplatz

Alle Waren, die nach Leipzig geliefert wurden, unterlagen der Waagepflicht, d. h. nach dem ermittelten Gewicht wurden je nach Warensorten die Zollabgaben und die Waagegebühren ermittelt. Während letztere (vor allem zu Messezeiten) dem Rat immense Einnahmen bescherten, musste man sich die Zölle mit dem jeweiligen Landesherren mehr oder weniger christlich teilen. Das für die Stadt deshalb außerordentlich wichtige Gebäude der Ratswaage wurde 1555 auf dem zentral gelegenen Grundstück Markt 4 an der Ecke zur Katharinenstraße errichtet. Durch seinen imposanten Staffelgiebel mit Sonnenuhr sowie den markanten Tür- und Fensterrahmungen aus Rochlitzer Porphyr erscheint das Waagegebäude - wie auch das Alte Rathaus - als typisches Bauwerk der Leipziger Renaissance. Obwohl es keine entsprechenden schriftlichen Überlieferungen gibt, vermutet man auch hier Hieronymus Lotter und dessen Assistenten Paul Speck als Baumeister. Bereits 1570 wurde die Ratswaage um das benachbarte Grundstück Kathrinenstraße 1 erweitert. Dabei entstanden im Keller die Ratsweinstube, im Erdgeschoß die Amts- und Schreibstuben für das Waageamt sowie eine "Herrentrinkstube" im ersten Stock. Aber auch andere Institutionen fanden im Haus Platz: So residierte hier von 1661 bis 1712 das erste Leipziger Postamt. Bald machte der ständig zunehmende Warenstrom den Waagebetrieb in der engen Innenstadt unmöglich, so daß dieser ab 1820 vor das Halleschen Tor (heute Tröndlinring) verlagert wurde. Im Rahmen eines Umbaus 1861 büßte das nun Alte Waage genannte Haus eines seiner reizvollsten architektonischen Details ein: Der asymmetrisch aus der Marktfassade hervortretende Treppenturm mit seinen aufsteigenden Fenstern und der Schieferdachhaube wurde kurzerhand abgerissen, weil man ihn als Verkehrshindernis ansah. 1917 zog das "frisch gebackene" "Meßamt für die Mustermessen in Leipzig" mit seinem Internationalen Verkehrsbüro in Alte Waage und blieb dort auch bis zu ihrer totalen Zerstörung am 4. Dezember 1943. Ein kurzes Intermezzo blieb dagegen die Ansiedlung der ebenfalls neu gegründeten "Mitteldeutschen Rundfunk-A.G., Gesellschaft für Unterhaltung und Belehrung Leipzig" (kurz MIRAG) im Frühjahr 1924. Als zweiter Rundfunksender Deutschland betrieb sie hier einige Verwaltungs- und Studioräume, doch bereits im Sommer 1928 erfolgte der Umzug in den nur wenige Meter entfernten Barthels Hof. Ferner hatten in der Alten Waage auch die Leipziger Orchester GmbH, eine Filiale der Norddeutschen Lloyd AG Bremen und der Verkehrsverein ihr Domizil. Nach dem Abbruch der Kriegsruine wurde das traditionsreiche Waagegebäude 1963/64 unter Leitung der Architekten Wolfgang Müller und Rudolf Rohrer neu errichtet. Während die Marktfront nach den Originalplänen (leider ohne den Treppenturm) wieder entstand, entschied man sich bei der Ostfassade für eine Stahlskelett- Konstruktion mit modernem Erscheinungsbild.